
Erdogan-Rivale Imamoglu festgenommen - Scharfe Kritik aus EU-Ländern

Kurz vor seiner Nominierung als Präsidentschaftskandidat ist der prominente türkische Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu am Mittwoch festgenommen worden. Der Istanbuler Bürgermeister gilt als schärfster politischer Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Nach Angaben von Justizminister Yilmaz Tunc wird wegen Vorwürfen der Korruption und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gegen ihn ermittelt. Imamoglus Partei CHP sprach von einem politisch motivierten "Putschversuch". Aus Deutschland und weiteren EU-Ländern kam scharfe Kritik.
Imamoglu wurde am Morgen nach einer großangelegten Razzia in seinem Haus abgeführt, wie sein Büro mitteilte. Neben Imamoglu wurden mehr als hundert weitere Menschen festgenommen, darunter Mitarbeiter des Bürgermeisters, Abgeordnete und Mitglieder seiner linksnationalistischen Partei CHP.
Dem 53-jährigen Imamoglu wird laut Staatsanwaltschaft unter anderem der Korruption und Erpressung beschuldigt. Ihm wird demnach vorgeworfen, Anführer einer "kriminellen Organisation" zu sein. Die Anschuldigungen beziehen sich offenbar auf Ermittlungen wegen des Vorwurfs der "Manipulation" von Ausschreibungen während seiner Zeit als Bezirksbürgermeister von Beylikduzu, die 2023 eingeleitet worden waren.
Nach Angaben des Justizministeriums lautet ein weiterer Vorwurf gegen Imamoglu und sechs weitere Beschuldigte "Unterstützung von Terrorismus". Dabei gehe es um mutmaßliche Verbindungen der Verdächtigen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Beobachtern zufolge werden dem stärksten Rivalen Erdogans mit einer zunehmenden Zahl von unbegründeten Ermittlungen Steine in den Weg gelegt. "Dies ist eine gezielte politische Aktion, mit der der künftige türkische Präsident beseitigt werden soll. Dies ist ein direkter Angriff auf die Nation, und wir werden kämpfen", sagte Imamoglus Ehefrau Dilek Kaya Imamoglu.
Der CHP-Vorsitzende Özgur Özel verurteilte Imamoglus Festnahme vor hunderten Anhängern des Bürgermeisters in Istanbul als "Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten". Es handele sich um einen "Putsch, um den Willen des Volkes zu behindern".
Deutsche Politiker verurteilten parteiübergreifend die Festnahme des Oppositionspolitikers. Erdogan fürchte sich vor "starken Konkurrenten wie Imamoglu, die für Freiheit und eine pluralistische Gesellschaft stehen", sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir dem "Spiegel".
"Die Festnahme von Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu ist ein schwerer Angriff auf die Demokratie in der Türkei", erklärte SPD-Chef Lars Klingbeil. Die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler nannte die Festnahme von Imamoglu im "Spiegel" eine Art Staatsstreich.
Auch aus Frankreich kam Kritik am Vorgehen gegen Imamoglu. Die Festnahme könne "schwere Folgen für die türkische Demokratie haben", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Paris.
Mehrere europäische Bürgermeister verurteilten die Festnahme Imamoglus. Diese sei "ein neuer Schritt im Vorgehen des Erdogan-Regimes gegen oppositionelle Bürgermeister", erklärte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Der Bürgermeister von Athen, Haris Doukas, erklärte im Onlinedienst X: "Ekrem, mein Freund, wir stehen an deiner Seite."
Nach Imamoglus Festnahme wurde der Handel an der Istanbuler Börse zeitweise ausgesetzt. Der Leitindex war zuvor um fast sieben Prozent abgestürzt. Der Wert der türkischen Lira brach ebenfalls ein. Der Wechselkurs stieg auf 40 Lira für einen Dollar und 42 Lira für einen Euro. Zwischenzeitlich hatte er mit 44,7 Lira pro Euro den schwächsten Kurs jemals erreicht.
Alle Versammlungen und Demonstrationen wurden vom Istanbuler Gouverneur bis Sonntag verboten. Die Polizei sperrte das Gebiet um das Rathaus und den zentralen Taksim-Platz. Trotz des Demonstrationsverbots versammelten sich rund 300 Anhängerinnen und Anhänger Imamoglus vor der Polizeiwache im Bezirk Fatih, in die der Bürgermeister gebracht worden war. Die Demonstrierenden schrien "Imamoglu, du bist nicht alleine" und forderten den Rücktritt der Regierung.
In der Nähe der Polizeiwache versuchte die Polizei an der Universität Istanbul rund 400 Studierende mit Tränengas zu vertreiben. Sie hatten sich dort versammelt, um gegen die Aberkennung von Imamoglus Abschluss zu protestieren.
Die Universität Istanbul hatte den an der Hochschule erworbenen Abschluss des Bürgermeisters am Dienstag wegen "offensichtlicher Fehler" aberkannt. Der Oppositionspolitiker könnte damit von einer Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen werden, für die ein Hochschuldiplom eine Voraussetzung ist.
Imamoglu gilt neben dem CHP-Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, als mächtigster Rivale Erdogans. Die CHP hatte angekündigt, Imamoglu am Sonntag offiziell zum Präsidentschaftskandidaten für die Wahl 2028 zu nominieren. Er war schon als Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2023 gehandelt worden - bis ein Gerichtsurteil ihm Steine in den Weg gelegt hatte.
Imamoglu muss sich derzeit auch wegen "Beleidigung und Bedrohung eines Beamten" vor Gericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, den Istanbuler Staatsanwalt und einen Gerichtsexperten beleidigt zu haben. Anfang Februar hatte Imamoglu in dem Zusammenhang vor tausenden Anhängern "Schikane durch die Justiz auf höchster Ebene" angeprangert. Er wies alle Vorwürfe zurück und betonte, lediglich sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt zu haben.
F.S.Meyer--BlnAP