
Alterspräsident Gysi: Haben noch keine vollständige deutsche Einheit

Bundestags-Alterspräsident Gregor Gysi (Linke) hat in seiner Eröffnungsrede des neuen Parlaments zur Vollendung der deutschen Einheit aufgerufen. Er kritisierte am Dienstag, "dass wir immer noch keine vollständige Einheit in Deutschland hergestellt haben". Bei der Herstellung der Einheit sei "zumindest ein schwerer Fehler begangen" worden. Die damalige Bundesregierung habe sich für das Leben in der DDR nicht interessiert, bemängelte der Linken-Abgeordnete.
Gysi betonte: "Übernommen hat man aus der DDR nur das Sandmännchen, das Ampelmännchen und den grünen Abbiegepfeil - damit sagt man aber den Ostdeutschen, dass sie außer diesen drei Punkten nichts geleistet hätten." Der Linken-Politiker hob hervor, dass in der DDR unter anderem die Gleichstellung der Geschlechter "deutlich weiter" gewesen sei als in der damaligen Bundesrepublik Deutschland. Zudem habe es "extrem kostengünstige und gut ausgestattete Kindereinrichtungen" gegeben.
Wären auch solche Punkte von der BRD übernommen worden, "hätte die ostdeutsche Bevölkerung nicht ein solches Gefühl der Demütigung entwickelt", so Gysi. Die Berücksichtigung hätte zudem "zu deutlich mehr innerer Einheit geführt". Der Alterspräsident forderte einen zukünftigen Kanzler auf, "diesen Fehler" einzuräumen und sich zu entschuldigen.
Notwendig sei weiter "endlich eine Gleichstellung von Ost und West". Es müsse Schluss sein mit unterschiedlichen Tarifverträgen und Renten in Ost- und Westdeutschland, forderte Gysi. Zudem müssten Ostdeutsche in der nächsten Bundesregierung und in den obersten Gerichten angemessen vertreten sein und berücksichtigt werden.
Gysi eröffnete als Alterspräsident - seit 2017 ist dies der dienstälteste Abgeordnete - die konstituierende Sitzung des neuen Bundestags. In seiner Rede ging der 77-Jährige auf zahlreiche außenpolitische Themen wie den Nahost-Konflikt und den Krieg in der Ukraine ein. Die Innenpolitik nahm ebenfalls viel Raum ein. Hier forderte der Linken-Politiker unter anderem vier "überparteiliche Gremien": für "eine sichere zukünftige Rente", zur "Frage der Steuergerechtigkeit", zum Krankenkassensystem und zum Abbau von Bürokratie.
Im Laufe der konstituierenden Sitzung soll die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner zur neuen Parlamentspräsidentin gewählt werden. Im Anschluss werden auch ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter bestimmt.
B.Nagel--BlnAP